Ja, das ist ein geflügeltes Wort. Es wird oft zitiert, ohne das ganze Gedicht „Stufen“ von Herrmann Hesse mit einzubeziehen. In diesem Gedicht geht es aber nicht nur um Anfang, es geht auch um Ende – die andere Seite eines Prozesses. Alles, was wir anfangen, erfüllt uns mit Hoffnung. Die Hoffnung auf Erfolg, die Hoffnung auf Wertschätzung, auf Anerkennung und auch auf Spaß und Erfüllung treibt uns immer wieder zu neuen Anfängen.

Manchmal sind es auch Probleme oder Schwierigkeiten, die uns einen neuen Anfang wagen lassen. Dabei denken wir uns das „Ende“ oft als den Lohn unserer Bemühungen. Wir wollen ja etwas erreichen, wir haben ein Ziel. Mit dem Anfangen ist die Vorstellung verbunden, dass am Ende irgend etwas Gutes herauskommt. Das motiviert uns und gibt uns Kraft.

Manche Menschen sind Meister des Anfangs. Immer wieder! Sie lassen sich von neuen Ideen und Projekten immer aufs Neue begeistern, stecken vielleicht sogar andere mit dieser Begeisterung an und reißen sie mit. Andere tun sich eher etwas schwer mit dem Anfangen. Sie zögern, wollen sich erst gründlich vorbereiten und vielleicht sogar erst die Sicherheit haben, dass es sich lohnt – gewissermaßen eine Vorab-Erfolgsgarantie.

Aber ganz egal, ob das Anfangen leicht oder schwer fällt – was nach dem Anfang kommt, sind die Mühen der Umsetzung. Dann erst zeigt sich, wie weit unsere Kraft reicht, wie stark das Ziel uns tatsächlich motiviert. Wenn wir etwas umsetzen, tauchen neue Fragen auf. Auch neue Schwierigkeiten oder Möglichkeiten können sichtbar werden – was wir am Anfang gar nicht wissen konnten, ist plötzlich real. Willy Brandt sagt dazu: „Man kann nie so kompliziert denken, wie es kommt“.

Oft empfinden wir solche Situationen als Etappen auf unserem Weg – bei Herrmann Hesse sind das die „Stufen“. Aber Stufen können nach oben oder nach unten führen, genau wie Wege führen sie irgendwo hin. Man kann sie auch, genau wie Wege, in verschiedene Richtungen begehen. Solange man in Bewegung bleibt…

Doch es gibt Schwierigkeiten, die auch mal zu einem nicht erfolgreichen Ende Anlass geben. Es kann durchaus sinnvoll sein, nicht jeden Prozess vom zauberhaften Anfang bis zum „bitteren“ Ende durchzuhalten. Nicht immer ist das eine Niederlage. Und schon gar nicht ist es ein Zeichen von Unfähigkeit, Faulheit oder Feigheit. Es kann ebenso ein Zeichen von gesundem Realitätssinn oder zum Beispiel von nachhaltigem Ressourcenmanagement sein. Wer dann leichtfertig den Spruch von der Komfortzone dahersagt, die man eben auch mal verlassen müsse, der hat die Komplexität von Prozessen einfach nicht verstanden. Denn schon nach dem ersten Schritt ist man ja längst aus der Komfortzone heraus! Spott und Hohn oder gar Häme sind also unangebracht, wenn nach einem Anfang ein schnelles Ende folgt. Vor allem, wenn dieses Ende nicht erzwungen, sondern ganz bewusst beschlossen wird.

Wenn also mal wieder ein Projekt nicht erfolgreich beendet wird, sondern unvollendet bleibt oder vorzeitig abgebrochen wird, kann das durchaus sinnvoll sein. Entscheidend ist: Ein neuer Anfang ist immer möglich!

Es steht nicht wirklich auf dem Grabstein von Willy Brandt „Man hat sich bemüht“, auch wenn sich dieses Gerücht hartnäckig hält. Dieses „Man hat sich bemüht“ war seine Antwort auf die Frage eines Journalisten. Ich finde aber, dies ist eine respektable und zu respektierende Lebenseinstellung. Insofern hat jeder Anfang auch Anerkennung und Unterstützung verdient, nicht erst das Ende. In diesem Sinne wünsche ich viel Spaß und Kraft für den nächsten Anfang!

Karin Rasmussen