Oje! Immer, wenn ich dieses Zitat lese, bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Denn ich strenge mich wirklich gar nicht gerne an. Aber scheinbar ist dies eine der größten Tugenden, nach denen der Mensch streben sollte: sich anzustrengen. Und das auch noch gerne, freiwillig, mit Begeisterung!

Fast täglich bekomme ich Einladungen zu Seminaren, Workshops oder ganzen Kursen, in denen ich lernen soll, mein Mindset (also meine Art, die Welt und mein Leben zu betrachten, meine Glaubenssätze, meine Denkweise) zu verändern. Ich denke scheinbar falsch?

Bisher habe ich immer geglaubt, dass aller Fortschritt zustande kam, weil die Menschen sich ihr Leben leichter machen wollten. Ich dachte wirklich, das Rad wurde erfunden, um weniger tragen und weniger rennen zu müssen. Heute bewundern wir Sportler, die schneller rennen als jeder normale Mensch und die trotzdem langsamer sind, als jedes Auto. Und wir bauen Maschinen, die immer größere Lasten bewegen – ohne auf Gewichtheber herabzuschauen, die mit Muskelkraft viel weniger Last bewegen.

Irgendwie scheint es doch nicht nötig, dass JEDER sich IMMER anstrengt. Wenn ich zum Beispiel bei einem Vortrag auf der Bühne stehe, habe ich gar nicht das Gefühl, mich anzustrengen. Für andere wäre das möglicherweise anstrengend, aus den unterschiedlichsten Gründen. Natürlich bin ich vorbereitet, natürlich habe ich mir Gedanken gemacht und an meinem Vortrag gefeilt – aber ich habe dabei Spaß! Es ist eine Arbeit, die mir leicht fällt, weil ich sie gut kann. Ich kann sie gut, weil ich sie gerne tue. Deshalb tue ich sie auch oft. Und weil ich sie oft tue, werde ich darin immer besser. Diese Arbeit macht mir immer mehr Spaß, je öfter ich sie tue. Es ist mir – sozusagen – ein innerer Spaziergang.

Vielleicht kennt Ihr das, man nennt es „Flow“. Die Arbeit läuft praktisch wie von allein, alles passt zusammen, man ist in Bestform und vergisst Raum und Zeit und auch alle Ablenkungen, manchmal sogar die Pausen. Es fühlt sich nicht anstrengend an, sondern befriedigend, mitreißend, geradezu beglückend. Ich wünsche jedem, dass die eigene Arbeit so läuft, dass Ziele so erreicht werden können. Was es dafür braucht?
Selbsterkenntnis!

Der Mensch ist ein wunderbar multi-funktionales Wesen! Wir können (fast) alles lernen, uns an unglaublich viele Anforderungen und verschiedene Bedingungen anpassen, immer wieder Schwierigkeiten meistern – und damit immer wieder unsere eigenen Talente und Fähigkeiten weiter entwickeln. Nur tun wir das häufig nicht „artgerecht“, also entsprechend unserer individuellen Persönlichkeit, sondern unter dem Druck vermeintlicher Notwendigkeiten. Irgendwer will immer etwas von uns, von irgendwem werden immer Forderungen gestellt und Erwartungen geäußert. Oder wir werden unter Druck gesetzt, zu irgendetwas unseren Beitrag zu leisten …

Also ZIELE zu erreichen. Nur: sind das unsere eigenen Ziele? Haben wir überhaupt die Chance, eigene Ziele zu erkennen? Und dürfen wir eigene Ziele haben?

Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch etwas ganz Besonderes ist – und dass diese Besonderheit das wertvollste ist, womit wir für andere da sein können. Denn nur durch den Austausch dieser Besonderheiten können wir uns gegenseitig ergänzen und bereichern. Allein ist ein einzelner Mensch immer unvollkommen. Wir können vielleicht irgendetwas besser als andere – aber wir brauchen die Anderen, weil diese uns brauchen und weil sie uns dafür mit denjenigen Fähigkeiten zur Verfügung stehen, die wir selbst nicht so gut beherrschen, für die wir uns anstrengen müssen. Wenn also jede/r von uns Gelegenheit bekommt, das zu tun, was uns am meisten Spaß macht, weil wir dafür das größte Talent haben, wenn wir das immer öfter tun und darin immer besser werden, dann könnte es auch immer leichter werden! Dann könnte es unser größtes Ziel werden, für andere auf leichten Wegen nützlich zu sein und Spaß daran zu haben. Dann müssten wir uns weniger anstrengen und würden dennoch bessere Ergebnisse erreichen.

Meinen Coaching-Kunden rate ich oft: wenn es zu anstrengend wird, überprüfe Deine Ziele! Wo kommen sie her? Folgen sie nur einer Mode, einer äußeren Erwartung oder gar einer Vorgabe? Sind es wirklich DEINE Ziele?

Wenn ich dann als Antwort ein „man muss doch“ erhalte, dann weiß ich, dass die Anstrengung riesig wird und die Erfolgsaussichten trotzdem gering sind. Und bisher hat sich immer wieder herausgestellt, dass gerade die gefühlte Anstrengung ein ganz wichtiges Signal ist, dem bald darauf Erschöpfung, Enttäuschung, Frust und manchmal die Kündigung oder gar der Burnout folgt.

Also, ehe Du Dich anstrengst, um ein Ziel zu erreichen, das nicht DEIN Ziel ist, überlege lieber, was Du gern tust, was dir Spaß macht, worin Du Erfüllung findest. Dann darf und wird es nämlich auch leicht sein – und genau deshalb doppelt wertvoll für Dich und die Anderen. Denn die können daran ihre Freude haben, weil es ihnen die Anstrengung erspart. Es darf leicht sein, denn es ist Dein Leben!

Karin Rasmussen